Datingbörse Friedhof: Zwischen Trauer und unerwünschter Aufmerksamkeit
Samstag, 21.09.2024 10:23 Uhr | Kategorie: Gedanken
Beitragsbild: BlogZwo.me
Ich hätte es ja nicht für möglich gehalten, dass ich mal etwas über unerwünschte Aufmerksamkeit auf dem Friedhof schreibe. Aber ja, es ist tatsächlich wahr.
Der Friedhof ist eine Kontakt- und Datingplattform, wenn auch eine wie mir scheint auf eine recht einseitige Art und Weise. Ich nehme ja ungern das Wort „Belästigung“ in den Mund, gerade wenn ich über so ein heikles Thema wie „Tod“ und „Friedhof“ schreibe. Ich verstehe natürlich (!) auch die Einsamkeit mancher Menschen, die vielleicht ihre Partnerin oder ihren Partner verloren haben und nun hoffen, mit anderen Menschen ins Gespräch zu kommen. Überhaupt kein Thema. Da bin ich auch wirklich die Letzte, die für diese Situation kein Verständnis hat.
Deswegen hatte ich mir zuerst die Frage gestellt, ob es vertretbar ist, dass man über so ein Thema schreibt? Ich denke ja. Denn in erster Linie gehe ich auf einen Friedhof, um ein Grab zu besuchen, damit ich es pflegen und mich darum kümmern kann. Da möchte ich weder angebaggert werden, noch finde ich jegliche Flirtversuche absolut unpassend.
Also, was war passiert?
Meine Mutter und ich waren gestern nach dem Tod meines Vaters zur Grabpflege auf dem Friedhof. Es war viel zu tun, die Sonne war tatsächlich trotz des anstehenden Herbst noch richtig heiß und knallte auf das Grab. Und auf mich.
Es war relativ wenig los auf dem Friedhof und ich fand das ganz angenehm, so konnte ich in der Erde buddeln, noch in Gedanken an die vergangene Beerdigung und natürlich meinem Vater. Irgendwann kam ein Angehöriger eines in der Nähe liegenden Grabes vorbei, ich schätze ihn mal so um die 70 Jahre, männlich. Er begrüße uns, wir grüßten kurz zurück und arbeiteten weiter.
Sogleich fing er ein Gespräch mit uns an. „Viel zu tun, nicht wahr?“. Ich, in gebückter Haltung in der prallen Sonne und krampfhaft versuchend, den Boden aufzulockern, guckte kurz hoch und sagte „Ja“. Mein Blick ging wieder zur Harke und dem Grab.
„Ja, ist immer viel hier…“, sagte er zu uns. Meine Mutter hatte sich schon eindeutig weggedreht und signalisierte so, dass sie kein Interesse an einem Gespräch hat. Ich schaue ihn erneut an und sagte ein „Jaja“ als Bestätigung.
Er hatte sich mittlerweile zu uns hingedreht und war auf ein Gespräch aus. Nun wollte ich ja auch nicht unhöflich sein, hatte aber auch keine Lust auf so ein Gespräch. Denn interessanterweise nahm er nur zu mir Kontakt auf, nicht aber zu meiner Mutter.
„Ne komm, reg dich nicht auf.“, dachte ich mir. Ich sitze hier in der prallen Sonne, kann nicht weg und das weiß er auch. Er blieb also einfach so bei uns stehen und schaute mir zu. Ich arbeitete weiter am Grab, als eine Wespe mich anflog. Da sie mich ziemlich aggressiv umschwirrte, stand ich schnell auf und ging ein paar Schritte weiter. Die Wespe kam mit.
In dem ich noch versuchte, schneller zu sein als die Wespe, guckte dieser Mann sich das Schauspiel an und rief mir hinterher: „Ja, das ist jetzt schlimm mit den Wespen, da müssen Sie aufpassen, ne!“.
„So, dachte ich“, immer noch ausweichend, um nicht gestochen zu werden, „jetzt ist hier aber Feierabend“. Da der Gute nicht beschloss, sich von unserem Grab wegzudrehen und mich weiter beobachtete, ignorierte ich ihn einfach und machte dann weiter mit meiner Arbeit.
Aber natürlich: Es ist kein schönes Gefühl. Warum muss man jemanden ein Gespräch aufzwängen? Warum mir, warum nicht meiner Mutter? Was veranlasst jemanden, sich einfach an ein fremdes Grab zu stellen, an dem gerade gearbeitet wird und zuzugucken? Im Leben käme ich nicht auf die Idee, so etwas zu machen. Wenn jemand signalisiert, dass er oder sie Kontakt wünscht, ok. Wenn es auf Gegenseitigkeit beruht, na klar, warum denn nicht, aber so?
Irgendwann ging dieser Mann, natürlich ohne sich zu verabschieden. Meine Mutter meinte dann ganz trocken: „Deine Botschaft ist aber bei ihm angekommen“. Ja, aber traurig, dass man das so zeigen muss. Ich widmete mich wieder dem Grab zu und war erleichtert, endlich unbeobachtet weiterharken zu können.
Keine Stunde später… ich sehe von weiten einen noch älteren Herrn in unsere Richtung kommen, altersmäßige Zielgruppe wäre da eher meine Mutter als ich. Er schaute uns schon von weitem zu… ich drehe mich weg und denke „Naja, werden ja nicht alle so sein!“.
Ja von wegen. Es begann das selbe Spiel wie eine Stunde zuvor – er grüßt, wir grüßen zurück, drehen uns weg. Er kümmert sich zuerst um sein Grab, betet. Setzt sich danach auf die direkt in der Nähe stehende Bank. Ich spüre die Blicke von ihm und merke, wie er mich die ganze Zeit beobachtet. Bleibe in der Position, in der ich gerade bin und hebe nur meinen Blick – yepp. Es ist so, er sitzt auf der Bank und schaut mir die ganze Zeit zu. Meine Mutter wirft mir einen bedeutungsvollen Blick zu, signalisiert mir, dass sie es ebenfalls bemerkt hat und dreht sich weg.
„Ja klasse, denke ich, der selbe Bums nochmal, das gibt es doch nicht“. Aber gut, was willste machen, das Grab soll ja fertig werden. Ich mache also weiter, währenddessen er mich die ganze Zeit beobachtet. Nach mehreren Minuten, ich fühle mich zunehmend unwohler und muss sowieso Pflanzenreste und Erde entsorgen, stehe ich auf und will in Richtung Müll gehen.
Dafür muss ich an der Bank vorbei, auf der er sitzt. Ich gehe also an ihm vorbei, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, mit der Mülltüte in der Hand, da ruft er mir bestimmend hinterher, was ich aber nur halb verstand: „Sooooo, junge Frau…“. Ich gehe weiter und überlege, was er nun gesagt haben könnte. Hab ich was falsch gemacht, dass er mich so bestimmend anspricht?! Ich werde unsicher, besinne mich dann aber wieder, lehre die Mülltüte und gehe in Richtung Grab zurück.
Er sitzt nach wie vor auf der Bank, guckt mich die ganze Zeit an und sagt zu mir: „Da haben sie aber viel gegossen!“. Ich gucke ihn an, sehe, wie er mich ziemlich unverschämt anschaut und werde sauer.
„Ne,“, denke ich, „jetzt ist hier aber Schluss. Was soll das denn?“.
Ich tu so, als hätte ich die Frage nicht verstanden und sage „Was?“. Er wiederholt seine Frage. Ich wiederhole meine. Das Spielchen spielen wir 3 oder 4x, er wird immer bestimmender und schreit mich letzten Ende an mit den Worten „Gegossen haben sie aber viel, die Pflanzen!“.
Mir platzt der Kragen. „Das haben Sie doch gesehen, Sie haben mich doch die ganze Zeit beobachtet, was fragen Sie mich denn da noch!“. Zack, Stille. Mit der Antwort hatte er nicht gerechnet.
Wütend gehe ich zum Grab meines Vaters zurück. „Das darf doch hier alles nicht wahr sein“, denke ich. Warum darf ich nicht in Ruhe das Grab meines Vaters herrichten, ohne dabei absichtlich beobachtet zu werden? Ohne mein Einverständnis in ein erzwungenes Gespräch verwickelt zu werden? Nur weil ich eine Frau bin oder was?! Was soll das denn?
Irgendwann später muss ich wieder zum Müll. Er sitzt tatsächlich nach wie vor auf dieser Bank und beobachtet mich.
Als ich vom Müll zurückkomme, mustert er mich mit festen Blick. Ich halte dagegen, gehe mit hoch erhobenen Kopf an ihm vorbei und zum Grab meines Vaters.
Einige Zeit später steht er auf und geht endlich.
Ich habe nach diesem Erlebnis gestern lange darüber nachgedacht, warum das so ist. Auch ob man darüber schreiben kann. Aber ich finde, dass man das kann. Denn ich weiß aus Gesprächen mit anderen Frauen, dass nicht nur mir so etwas „passiert“. Nur so ein Verhalten auch auf dem Friedhof erleben zu müssen, das war mir neu. Ich bin mir absolut sicher, wäre ich mit einem Mann am Grab gewesen, wäre das so nicht geschehen.
Leider ist mir und auch anderen schon mehrfach aufgefallen, dass es doch häufig die älteren, übrigens deutschen Männer sind, die sich so verhalten.
Die vermutlich meinen, nur weil man jünger ist als sie selbst, muss man ihnen antworten, weil es sich einfach so gehört. Weil man das ja früher beigebracht bekommen hat. Und weil es sich so gehört, dass Frau dem Mann antwortet. Anders kann ich mir dieses unverschämte Verhalten nicht erklären.
Und nein, es kann auch nicht an meiner Kleidung gelegen haben… Ich hatte eine sehr weite, lange Cargojeans und ein langes, weites T-Shirt mit einem hohen Ausschnitt bis zum Hals an. Nichts enges, nichts figurbetontes, auch sind von mir keinerlei Signale ausgegangen (bis auf die, dass ich kein Interesse habe, weder auf quatschen, noch auf sonstwas).
Natürlich ist der Titel dieses Beitrags ironisch zu verstehen. Das hatte ja nichts mit „flirten“ oder Dating zu tun, sondern war einfach nur übergriffig, respektlos und zeigt in meinen Augen ein unangemessenes Verhalten auf dem Friedhof.